Wer hochsensibel oder neurosensitiv ist, hat es in der heutigen Zeit, die voller Reize und Schnelllebigkeit ist, nicht immer leicht. Dass es Menschen gibt, die feiner und intensiver wahrnehmen als andere, die schneller überflutet sind von Eindrücken und somit hochsensibel reagieren, ist an sich nichts Neues. 1997 gab die amerikanische Psychologin und Professorin Elaine Aron dem Phänomen einen Namen, indem sie den Begriff «Highly Sensitive Person (HSP)» prägte. Mittlerweile sind die Begriffe «Hochsensibilität» oder auch «Neurosensitivität» weit verbreitet, es gibt zahlreiche Bücher, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen und auch die Neurowissenschaft befasst sich intensiv mit dem Thema der Neurosensitivität. Allerdings herrscht nach wie vor viel Unsicherheit im Umgang mit HSP, umso wichtiger ist es, sich damit differenziert auseinanderzusetzen.
Hochsensibilität hat viele Gesichter, das Phänomen ist so vielschichtig wie auch komplex. Oftmals fühlen sich hochsensible Menschen «anders» als der Rest der Welt, können ihr Gefühl aber nicht einordnen. Sie merken, dass sie Gefühle intensiver wahrnehmen, vieles gründlicher und tiefer verarbeiten, schneller mit Übererregung reagieren, sei es körperlich oder seelisch. Es ist, als ob ihnen manchmal der Filter fehlt, um Impulse und Reize entsprechend abpuffern oder umleiten zu können, die Eindrücke gehen direkt unter die Haut. Als selber hochsensibler Mensch liegt mir dieses Thema und der Umgang damit sehr am Herzen. Ich persönlich musste lernen, mit dieser Ausprägung, die sowohl eine grosse Herausforderung wie auch eine grosse Gabe sein kann, umzugehen und sie anzunehmen als einen Teil von mir.
Die Wissenschaft nimmt an, dass Hochsensibilität zu einem Teil genetisch vererbt wird. Mittlerweile ist jedoch aus der Epigenetik auch bekannt, dass auch Trauma-Erfahrungen an nächste Generationen vererbt werden können. In meiner Praxis sehe ich viele neurosensitive Kinder und Erwachsene. Meine Erfahrung als langjährige Therapeutin ist, dass die allermeisten davon frühe Traumatisierungen erfahren haben, die das Nervensystem einerseits schon früh durch hohen Stress geprägt haben, sie anderseits jedoch auch geöffnet haben für eine vertiefte Wahrnehmung für Übersinnliches, Spiritualität und Gefühle. Die Herausforderung ist es, in einer Welt, in der es ein Zuviel an äusseren Reizen, Eindrücken und Anforderungen und ein Zuwenig an Zeit, Hingabe, Vertiefungsmöglichkeit und Liebe gibt, seinem inneren Kompass zu folgen, seinen ganz eigenen Weg zu finden und sich wo nötig gesund abgrenzen zu lernen.